Donnerstag, 22. Mai 2008
Kurvendiskussion
Es heißt "Traue keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast". Überall, und natürlich auch in den Ingenieurswissenschaften, besteht das Problem, dass Daten falsch erhoben und/oder verfälschend dargestellt werden.

Ich hatte einen Doktorvater, der sehr penibel war, was die korrekte Darstellung und Beschriftung von Achsen und Kurvenverläufen in graphischen Darstellungen angeht. Natürlich hat das auch auf mich abgefärbt, und ich beobachte mit Interesse, manchmal auch Bestürzung bis Ärger, wie irreführend manche Zusammenhänge dargestellt werden oder, noch schlimmer, durch ihre Darstellung der gewünschten Argumentation angepasst.

Aber auch innerhalb einer an und für sich korrekten und leidenschaftslosen Graphik kann man Kurvendiskussion betreiben, um eine gewünschte Aussage zu transportieren. Die Diskussion um die übermäßige Belastung des Mittelstands beim Steuersatz ist ein Beispiel dafür.



In Deutschland gilt Steuerprogression. Dabei wird auf das zu versteuernde Einkommen ein Steuersatz angewendet, der mit der Höhe des zu versteuernden Einkommens steigt. Hat man nur 7.664 Euro zu versteuern, wird gar keine Steuer fällig. Jeder Euro, den man mehr verdient, wird dann mit einem Steuersatz belegt, der zunächst etwas steiler und dann flacher ansteigt und schließlich bei 42% konstant bleibt (bis das Einkommen in den Bereich der Reichensteuer kommt).



Dass die Einkommensteuer für die ersten zusätzlichen Euros zunächst steiler ansteigt und dann bei 24% flacher, ruft Kritiker auf den Plan. Sie fordern einen linearen Anstieg und nennen die eingeschlossene Fläche "Mittelstandsbauch", ein Zeichen dafür, dass mittlere Einkommen übermäßig mit Steuern belastet werden. Diese Leute nehmen eine Kurve, die zunächst einfach nur das geltende Steuerrecht widerspiegelt, und erweitern sie um eine Linie und einen Bereich, der ihre gewünschte Aussage illustriert.



Genausogut könnte man aber auch eine andere Linie und einen anderen Bereich einzeichnen. Die gleiche Graphik wäre dann eine Illustration dafür, dass in Deutschland genau diese lineare Progression herrscht, nur eben für geringe Einkommen bis 12.740 Euro eine "Eingangsreduktion" des Steuersatzes stattfindet.



Und den Verfechtern der Flat-Tax kann man zeigen, dass es sie auch schon gibt. Nur eben mit einer kleinen Steuererleichterung für Geringverdiener, die weniger als 52.152 Euro versteuern müssen. Soll es ja geben.

Ich gehe mich jetzt nach dem Rumgesitze in Lounges, Fliegern und Meeting Rooms erst mal um meinen eigenen Mittelstandsbauch kümmern.

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